Jon Nödtveidt – Musikerkarriere, Überzeugungen und der Mord von 1997
Jon Andreas Nödtveidt (28. Juni 1975 in Strömstad; † 13. August 2006 in Hässelby, Stockholm) war ein schwedischer Metal-Musiker und bekennender Satanist. Bekannt wurde er als Gitarrist, Sänger und Mitgründer der Black-/Death-Metal-Band Dissection, die er 1989 ins Leben rief. Mit Dissection veröffentlichte Nödtveidt in den 1990er-Jahren zwei stilprägende Alben des Extreme Metal. Gleichzeitig sorgte er durch seine radikal okkult-satanistischen Überzeugungen und insbesondere durch seine Verwicklung in einen Mordfall im Jahr 1997 für Aufsehen. Nach einer mehrjährigen Haftstrafe startete er 2004 ein musikalisches Comeback, bevor er sein Leben 2006 durch Suizid beendete.
Inhalt
Frühe Jahre und Gründung von Dissection (1975–1990)
Jon Nödtveidt wuchs in der westschwedischen Kleinstadt Strömstad auf. Bereits als Jugendlicher zeigte sich sein musikalisches Talent und Interesse an harter Musik. Mit zwölf Jahren gründete er seine erste Rockband namens Thunder, in der er als Sänger und Gitarrist mitwirkte. 1988 war Nödtveidt Mitbegründer der Thrash-Metal-Band Siren’s Yell, gefolgt von einem kurzen Engagement als Gitarrist bei der Formation Rabbit’s Carrot. In dieser frühen Phase knüpfte er auch Kontakte zur florierenden skandinavischen Metal-Szene und veröffentlichte ein eigenes Fanzine, um die Untergrund-Musik zu unterstützen.
Im Herbst 1989 gründete der erst 14-jährige Nödtveidt zusammen mit dem Bassisten Peter Palmdahl seine Hauptband Dissection. Kurze Zeit später stießen Schlagzeuger Ole Öhman und Gitarrist John Zwetsloot dazu, wodurch sich die klassische Frühbesetzung der Band formierte. Dissection kombinierte melodische Elemente des schwedischen Death Metal mit der düsteren Atmosphäre des Black Metal. Nödtveidts visionäres Songwriting und virtuoses Gitarrenspiel legten den Grundstein für den markanten Sound der Band. Bereits mit ihren ersten Demos und EPs Anfang der 1990er erarbeitete sich Dissection einen Ruf in der internationalen Extrem-Metal-Szene.



Erste Erfolge in der Black-/Death-Metal-Szene (1991–1995)
Anfang der 1990er-Jahre etablierte sich Dissection als einer der hoffnungsvollsten Acts des skandinavischen Extreme Metal. 1993 erschien das Debütalbum The Somberlain, das in der Szene große Beachtung fand. Das Album, welches dem verstorbenen Mayhem-Gitarristen Euronymous gewidmet war, verband eingängige Melodien mit eisiger Black-Metal-Ästhetik und machte Jon Nödtveidt über die Underground-Szene hinaus bekannt. Mit Storm of the Light’s Bane folgte 1995 das zweite Album, das von Kritikern und Fans als Meisterwerk des melodischen Black/Death Metals gefeiert wurde. Diese beiden Veröffentlichungen gelten als stilbildend; sie beeinflussten zahllose nachfolgende Bands und begründeten Dissections Kultstatus in der Metal-Community.
Parallel zu Dissections wachsendem Erfolg beteiligte sich Nödtveidt an verschiedenen Nebenprojekten und knüpfte ein weitreichendes Netzwerk in der Black-Metal-Szene. Unter dem Pseudonym „Rietas“ wirkte er 1992/93 bei der schwedischen Black-Metal-Band The Black mit, und 1994 spielte er als Gastgitarrist (alias „Shadow“) auf dem Album A Journey in Darkness der Band Ophthalamia, bei der auch sein Bruder Emil aktiv war. Nödtveidt stand zudem in regem Austausch mit Musikern der berüchtigten norwegischen Black-Metal-Szene und wurde Mitglied des inneren „Black Circle“ um die Band Mayhem. Diese Verbindungen untermauerten seinen Ruf als authentische Persönlichkeit in der extremen Metal-Subkultur.
Okkulte Hinwendung und Zerfall der Band (1995–1997)
Mitte der 1990er-Jahre wandte sich Nödtveidt zunehmend dem Satanismus und Okkultismus zu. 1995 schloss er sich dem neu gegründeten Misanthropic Luciferian Order (MLO) an – einem geheimnisumwobenen satanistischen Zirkel, der einen sogenannten „antikosmischen“ Luciferianismus propagierte. Obwohl Nödtveidt nicht zu den Gründern des MLO zählte, wurde er früh durch Freunde in die Lehren des Ordens eingeführt. Diese okkulten Überzeugungen beeinflussten fortan sein Weltbild und sollten später auch seine Musik und sein Auftreten prägen. Dissection bezeichnete er rückblickend als „klangliche Propagandaeinheit“ des MLO – ein Hinweis darauf, wie eng er seine künstlerische Arbeit mit seiner satanistischen Ideologie verknüpfte.
Trotz des künstlerischen Höhenflugs geriet Dissection ab 1996 in unruhiges Fahrwasser. Interne Spannungen innerhalb der Band nahmen zu. Noch bevor ein drittes Album in Angriff genommen werden konnte, kam es 1997 zur Trennung der ursprünglichen Dissection-Besetzung. Einige der Mitglieder formierten anschließend die Band Soulreaper, während Jon Nödtveidt sich neuen musikalischen und persönlichen Wegen zuwandte. Er experimentierte in dieser Zeit mit elektronisch-düsteren Klängen in dem Ambient-Projekt De Infernali und blieb der Black-Metal-Szene als Gastmusiker (etwa bei Necrophobic) verbunden. Doch seine wachsende Obsession für den Okkultismus und extremistische Ideologien führte ihn schließlich weg von der Musik – und in einen Abgrund, der seine Zukunft bestimmen sollte.



Der Mord an Josef Ben Meddour (1997)
Am 22. Juli 1997 ereignete sich der Vorfall, der Jon Nödtveidts Leben radikal verändern sollte: Er und ein Bekannter namens Vlad T.** (vollständiger Name Victor Damiano*) wurden in den Mord an Josef Ben Meddour, einem 37-jährigen Algerier, verwickelt. Das Opfer, das homosexuell war (siehe auch den Mord von Bard „Faust“ Eithun), wurde in einer Wohnung in Göteborg kaltblütig getötet. Nach späteren Darstellungen auf der Dissection-Webseite geriet Ben Meddour mit Nödtveidt und Vlad in Konflikt, weil er die beiden angeblich sexuell belästigt habe. Infolge dieses Streits eskalierte die Situation tödlich: Ben Meddour wurde erschossen, wobei eine illegal beschaffte Waffe zum Einsatz kam. Nödtveidt und sein Komplize flohen zunächst vom Tatort, doch die Spuren führten schließlich zu ihnen.
Die genauen Hintergründe und Motive des Mordes wurden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Aufgrund der Beteiligung von Mitgliedern des Misanthropic Luciferian Order wurde über einen rituellen oder ideologisch motivierten Tathintergrund spekuliert – manche vermuteten, die Tat könne eine Art satanisches „Opfer“ oder Prüfstein für ihre Überzeugungen gewesen sein. Nödtveidts Umfeld bestritt dies jedoch. Laut ihrer Version handelte es sich um eine aus Wut geborene Gewalttat, unmittelbar ausgelöst durch die Provokationen des Opfers in jener Nacht. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass auch Homophobie oder allgemeine Menschenverachtung (im Sinne der misanthropischen Ideologie des MLO) eine Rolle bei der Tat gespielt haben könnten, da das Opfer gezielt aufgrund seiner Annäherungsversuche getötet wurde.
Im Dezember 1997 wurde Jon Nödtveidt wegen Mordverdachts festgenommen. Die schwedische Justiz rollte den Fall zügig auf: Im Juli 1998 verurteilte ein Gericht Nödtveidt wegen Beihilfe zum Mord an Josef Ben Meddour sowie wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Als Haupttäter wurde sein Freund Vlad – ein führendes Mitglied und zugleich Kopf des MLO – wegen direkten Mordes verurteilt. Die Verurteilung erschütterte die Metal-Szene und machte weltweit Schlagzeilen. Nödtveidt selbst zeigte sich vor Gericht wortkarg und übernahm indirekt Verantwortung, ohne jedoch Details der Tat öffentlich auszubreiten. Anders als manch anderer Black-Metal-Musiker, der mit Gewalttaten prahlte, vermied er es, den Mord für seine Selbstdarstellung zu instrumentalisieren – vermutlich aus Rücksicht auf die Familie des Opfers und weil er die Konsequenzen seiner Handlungen nüchtern akzeptierte.

Gefängnisjahre und ideologische Vertiefung (1998–2004)
Jon Nödtveidt verbrachte sieben Jahre hinter Gittern, bevor er vorzeitig entlassen wurde. Die Zeit im Gefängnis nutzte er, um sowohl musikalisch als auch ideologisch an sich zu arbeiten. Er blieb der extremen Musikszene verbunden, schrieb neue Songtexte und unterstützte befreundete Bands aus der Ferne – so steuerte er etwa Worte für einen Titel der schwedischen Black-Metal-Gruppe Diabolicum bei. Weitaus prägender jedoch war seine weitere Hinwendung zum Satanismus während der Haft: Nödtveidt schloss sich einer im Gefängnis operierenden Bruderschaft namens Werewolf Legion an. Diese Gang, die von Inhaftierten gegründet wurde, stand dem MLO nahe und machte mit gewalttätigen Aktionen und kriminellen Machenschaften außerhalb der Gefängnismauern von sich reden. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung zeigt, dass Nödtveidts Überzeugungen in der Haft ungebrochen blieben – er nutzte die Zeit, um sein satanistisches Weltbild zu festigen und Kontakte innerhalb der okkulten Untergrundszene aufrechtzuerhalten.
Trotz der abgeschotteten Umstände verlor Nödtveidt sein Ziel einer Rückkehr zur Musik nie aus den Augen. In Interviews, die er aus dem Gefängnis heraus gab, reflektierte er über seine Taten und betonte, dass er seine Vergangenheit nicht ungeschehen machen könne, aber die Lehren daraus ziehe. Zugleich verteidigte er vehement die Ideologie des „antikosmischen Satanismus“, wie sie vom MLO propagiert wird. Diese Lehre betrachtet das materielle Universum als Gefängnis, das es durch chaotische, luziferische Prinzipien zu überwinden gilt. Nödtveidt distanzierte sich in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich von jedwedem politisch extremen Gedankengut, das manchen Black-Metal-Bands nachgesagt wurde: Weder Rassismus noch Nationalismus hätten Platz in seinem Denken – solche Einstellungen bezeichnete er als „Herdenmentalität für geistig schwache Menschen“. Seine Rebellion richtete sich nach eigenen Aussagen allein gegen kosmische und spirituelle Ordnungsvorstellungen, nicht aber gegen einzelne Ethnien oder Nationen.
Wiederbelebung von Dissection und Album Reinkaos (2004–2006)
Im Jahr 2004 wurde Jon Nödtveidt vorzeitig aus der Haft entlassen. Kaum in Freiheit, setzte er alles daran, Dissection wiederzubeleben – allerdings mit komplett neuer Besetzung, da die ursprünglichen Mitglieder eigene Wege gegangen waren. Er rekrutierte talentierte junge Musiker und kündigte eine Rückkehr der Band an, die er bedeutungsvoll als „Rebirth of Dissection“ (Wiedergeburt von Dissection) betitelte. Von Anfang an machte Nödtveidt klar, dass Dissection nun mehr denn je als Vehikel seiner satanistischen Botschaften dienen würde. In einem Interview nannte er die Band eine „klangliche Propagandaeinheit“ des MLO, was sich deutlich in der ästhetischen Ausrichtung und den Texten des neuen Materials widerspiegelte.
Nach einer Tournee im kleineren Rahmen begann Dissection mit den Aufnahmen zum dritten Studioalbum. 2006 erschien schließlich Reinkaos, das stilistisch einen Wandel vollzog: Weniger rasende Geschwindigkeit als in früheren Tagen, dafür ein feierlich-düsterer, von traditionellen Metal-Riffs geprägter Sound. Vor allem jedoch sind die Liedtexte des Albums hervorzuheben, die direkt von Nödtveidts okkulten Lehren durchdrungen sind. Viele Passagen stammen wortwörtlich aus dem Liber Azerate, einem magisch-satanistischen Manifest des MLO, das von Frater Nemidial – dem Ordensnamen von Vlad, Nödtveidts Freund und früherem Komplizen – verfasst wurde. Reinkaos kann somit als konzeptionelles Werk verstanden werden, das Nödtveidts spirituelle Vision eines „antikosmischen“ Endziels musikalisch umzusetzen versucht.
Die Rückkehr von Dissection wurde von der Szene mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits feierten viele Fans die Wiederauferstehung einer Kultband und die Konsequenz, mit der Nödtveidt seine Kunst und Überzeugungen vereinte. Andererseits blieb seine Vergangenheit nicht ohne Folgen: Einige distanzierten sich aufgrund des begangenen Mordes und sahen in seinen extremistischen Ansichten eine Grenze überschritten. Sogar innerhalb der Black-Metal-Welt, in der Provokation und Dunkelheit zum Alltag gehören, stieß Nödtveidts kompromisslose satanische Haltung auf Vorbehalte. So trat beispielsweise Bård „Faust“ Eithun – ein norwegischer Musiker, der selbst wegen Mordes verurteilt gewesen war – der neu formierten Band zunächst als Schlagzeuger bei, verließ Dissection jedoch kurz darauf wieder. Faust begründete seinen Ausstieg damit, dass er mit dem allumfassenden satanistischen Konzept, das Nödtveidt für Dissection vorgab, nicht vollständig übereinstimmen konnte. Diese Episode verdeutlicht, wie strikt und ernsthaft Nödtveidt sein okkultes Gedankengut in der Band umgesetzt hat.
Im Mai 2006 gab Nödtveidt überraschend bekannt, dass Dissection nach einer kurzen Abschiedstournee aufgelöst werden solle. Er erklärte, die Band habe ihre Mission erfüllt – ein Hinweis darauf, dass er sein künstlerisches und spirituelles Ziel als erreicht ansah. Das letzte Konzert von Dissection fand am 24. Juni 2006 (dem Mittsommer-Nachtfest) in Stockholm statt. Danach zog sich Jon Nödtveidt ins Privatleben zurück, ohne konkrete Pläne für weitere Projekte zu offenbaren.



Tod und Vermächtnis
Am 13. August 2006 wurde Jon Nödtveidt tot in seiner Wohnung im Stockholmer Vorort Hässelby aufgefunden. Der 31-Jährige hatte sich selbst mit einer Pistole erschossen. Die Umstände seines Suizids waren ebenso dramatisch wie symbolträchtig: Nödtveidts Leichnam lag in einem Kreis aus brennenden Kerzen, und neben ihm befand sich ein aufgeschlagenes satanisches Grimoire. Später wurde bekannt, dass es sich bei dem Buch vermutlich um das Liber Azerate des MLO handelte – dasselbe Werk, das bereits die Texte seines letzten Albums inspiriert hatte. Diese Inszenierung deutet darauf hin, dass Nödtveidt seinen Freitod als letzten, konsequenten Akt seiner Überzeugungen verstand. In einem früheren Interview hatte er erklärt, ein wahrer Satanist bestimme selbst über Leben und Tod und würde den Zeitpunkt seines Ablebens wählen, sobald er den persönlichen Höhepunkt erreicht habe. Er verurteilte es, aus Verzweiflung oder Schwäche aus dem Leben zu scheiden – stattdessen betrachtete er den Tod als „Höhepunkt des Lebens“ und finale Transzendenz über die irdische Existenz. Diese Worte warf ein besonderes Licht auf seinen Suizid: Nödtveidt hatte mit Reinkaos und der Auflösung von Dissection offenbar alles verwirklicht, was er sich vorgenommen hatte, und setzte mit seinem Tod den Schlusspunkt unter sein radikales Lebenswerk.
Jon Nödtveidts Vermächtnis bleibt ambivalent. Einerseits hinterließ er der Metal-Welt zeitlose Musik – insbesondere The Somberlain und Storm of the Light’s Bane gelten als Meilensteine des Genres und inspirieren bis heute neue Generationen von Musikern. Seine Fähigkeit, Extreme-Metal mit Melodik und tiefgründiger Atmosphäre zu verbinden, setzte Maßstäbe. Andererseits überschatten seine Taten seinen künstlerischen Nachruhm: Der Mord an Josef Ben Meddour und Nödtveidts offen zelebrierter Satanismus machen ihn zu einer kontroversen Figur. Für die einen ist er ein musikalisches Genie, das konsequent seinen Weg ging; für die anderen bleibt er ein abschreckendes Beispiel dafür, wohin ideologischer Fanatismus führen kann. Unbestreitbar ist jedoch, dass Jon Nödtveidt als Persönlichkeit der Metal-Geschichte ein düsteres, aber faszinierendes Kapitel hinzugefügt hat – geprägt von brillanter Kreativität, tiefster Finsternis und einem Schicksal, das er sich letztlich selbst gewählt hat.